15. Februar 2022
Mit Lars Feld ernennt der Finanzminister einen knallharten Neoliberalen zu seinem persönlichen Berater – eine Kampfansage an alle, die auf bessere Mindestlöhne und dringend notwendige Klimasubventionen hoffen.
Personalie mit Signalwirkung: Mit Lars Feld im Finanzministerium wird die Ampel neoliberaler.
Christian Lindner hat sich in der Ampelkoalition bisher merklich zurückgehalten. Sein erklärtes Ziel war es, das Finanzministerium als »Ermöglichungsministerium« zu begreifen. Das hätte tatsächlich eine Kursänderung bedeutet, denn die Finanzminister der letzten Jahrzehnte haben meist mehr gespart als ermöglicht. Lindner kündigte ebenso an, alles notwendige zu tun, um Investitionen zu fördern. Als zuletzt darüber debattiert wurde, die EEG-Umlage früher als geplant abzuschaffen, beteuerte er, dass er dafür einen Finanzierungsweg finde würde, sollte sich die Koalition darauf verständigen. Kurz darauf schlug er jedoch andere Töne an: Auf einmal sollten Staatsausgaben priorisiert werden. Das bedeutet: Der finanzielle Spielraum bleibt weiterhin begrenzt und nur die wichtigsten Maßnahmen sollen realisiert werden. Welche das sein werden, wird sich spätestens dann zeigen, wenn die unreformierte Schuldenbremse wieder greift, und die Spielräume jenseits der Schuldenbremse ungenutzt bleiben.
Nun holt er mit Lars Feld den ehemaligen Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen als »Chefvolkswirt« ins Bundesfinanzministerium. Das wird folgenreich sein, denn Feld ist so neoliberal wie kaum ein anderer aus dem VWL-Mainstream. Bei der turnusmäßigen Neubestellung des Sachverständigenrats durch die Bundesregierung sorgte diese Personalie daher bereits für Konflikte. Als Felds Vertrag für den Chef-Posten des Sachverständigenrats Anfang 2021 verlängert werden sollte, scheiterte dies am Widerstand von Olaf Scholz und den Sozialdemokraten, weshalb der Sachverständigenrat seither nur noch vierköpfig besetzt ist.
Armin Laschet betonte indes, Lars Feld sei einer der renommiertesten Wissenschaftler der sozialen Marktwirtschaft. Für Baden-Württembergs grün-gelben Finanzminister Danyal Bayaz gehört die ordoliberale Perspektive ebenso selbstverständlich in den Sachverständigenrat. In der Pressemitteilung des Finanzministeriums zur Bekanntmachung von Felds Beratungsfunktion macht Lindner dann auch in aller Klarheit deutlich, worin er Felds Qualitäten sieht – er lobt ihn als einen »der profiliertesten Streiter für die Schuldenbremse und eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik«, den er »für seine ordoliberale Grundüberzeugung« schätze.
Lars Feld ist nicht nur ein klassischer Ordoliberaler der Freiburger Schule, er ist auch Mitglied neoliberaler Thinktanks wie der Mont Pèlerin Society und der Stiftung Marktwirtschaft sowie ein gern gesehener Gast der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die ordoliberale Schule als auch die neoliberalen Organisationen haben eines gemeinsam: Sie sind davon überzeugt, dass der Staat für die Marktwirtschaft einen Rahmen schaffen, dabei aber so wenig wie möglich eingreifen soll. Kurz gesagt: So viel Markt und Wettbewerb wie möglich, so viel Staat wie nötig. In der Konsequenz führt das zu Positionen wie der Kritik an Mindestlöhnen und einer Ausweitung des Sozialstaats, der Ablehnung der verlängerten Kurzarbeit und höherer Steuern für Topverdiener und Vermögende. Lobenswert erscheinen Feld und seinen Gefolgsleuten hingegen die Schuldenbremse, die Agenda 2010, Sparpolitik, Insolvenzverfahren für Staaten und dergleichen.
Progressiv sind solche Positionen wahrlich nicht, sie sind aber auch nicht neu – Felds Funktion hingegen schon. Er ist nun offizieller Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Die FAZ bezeichnete ihn schon als »Chefvolkswirt«. Dieser Titel war bislang dem Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und internationale Wirtschaftspolitik im Bundesfinanzministerium Jakob von Weizsäcker vorbehalten. Klar ist schon jetzt, dass Felds Meinung schwer ins Gewicht fallen dürfte – und das ist fatal.
Im Koalitionsvertrag der Ampel hieß es noch, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt, also die europäische Schuldenbremse, reformbedürftig sei. Wie genau der Stabilitätspakt reformiert werden sollte, blieb aber offen. Welche Reformen Lindner für die Fiskalregeln vorschweben, machte er dann jüngst am Tag von Felds Einberufung deutlich. Es geht ihm nicht um das Anheben der Quoten der Neuverschuldung oder der Gesamtverschuldung. Erst recht geht es ihm nicht um Ausnahmen für Investitionen – etwa für den Klimaschutz – oder eine Politik der Vollbeschäftigung. Lindner geht es vor allem um die Durchsetzung der Regeln. Das bedeutet nicht weniger als ein neues Sparjahrzehnt für Europa und auch für Deutschland.
Bei Lars Feld rennt er damit offene Türen ein. Feld befürwortet seit etlichen Jahren eine strikte Haushaltsdisziplin – national mit der Schuldenbremse und europaweit mit den Fiskalregeln. Folgerichtig warnt er daher auch gerne vor den Schuldenbergen, die die kommenden Generationen abtragen müssen. Über marode Infrastruktur und die stagnierende Wirtschaft schweigt er lieber. Wenn es nach Feld geht, wird es eine Rückkehr zu einer unreformierten Schuldenbremse geben und in der kommenden Dekade eine deutsche Schuldenquote von maximal 55 bis 60 Prozent, wie es die ab 2023 wieder geltenden Maastricht-Kriterien auch vorsehen. Selbst eine Erhöhung dieser Maximalverschuldung auf 100 Prozent des BIPs – was nun wirklich kein äußerst progressiver Vorschlag ist – kommt für ihn nicht in Frage. Das würde schließlich der von ihm angestrebten Haushaltskonsolidierung im Weg stehen.
Nach Jahren wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit in Europa sorgt die erneute Anwendung der Schuldenregeln in keinem Fall für Stabilität. Im Gegenteil: Wenn neue Spardiktate drohen, könnten weitere Länder die EU oder den Euro-Raum verlassen. Vor allem das Insolvenzverfahren für Euro-Staaten würde diesen Prozess anheizen. Für Feld ist das jedoch kein Grund zur Sorge, im Gegenteil. Er scheint diese institutionalisierte Fremdbestimmung vielmehr zu begrüßen und behauptet: »Ein klares Verfahren wirkt disziplinierend und festigt auf diese Weise die Währungsunion«. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Derart harte Auflagen zur Schuldenreduzierung schwächen die Währungsunion und sind zu erheblichem Teil schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, schwerfälligen Klimawende und schwächelnden Wirtschaft.
Auch wenn Lars Feld als freier »Chefvolkswirt« keine Weisungsbefugnis im Finanzministerium haben wird, ist das Gebäude nun gelb gestrichen. Es ist unwahrscheinlich, dass Lindner mit dieser Besetzung nur seine eigene neoliberale Anhängerschaft ruhig stellen möchte. Wäre es lediglich darum gegangen, hätte sich Lindner auch eine weniger kontroverse Figur aussuchen können. Doch mit Felds ideologischer Unterstützung an Bord wird Lindner seinen Kurs von Austerität, Deregulierung und Privatisierung nun leichter umsetzen können. Wie viel Widerstand ihm Robert Habeck und Olaf Scholz bieten werden, wenn sich Feld weiter gegen höhere Mindestlöhne oder Klimasubventionen ausspricht, wird sich noch zeigen. Klar ist schon jetzt, dass die Ampel mit dieser Personalie deutlich neoliberaler geworden ist.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.